Die europäische Identität made by Erasmus

Seit über 30 Jahren ermöglicht das weltweit größte Förderprogramm von Auslandsaufenthalten an Universitäten Erasmus europäischen StudentInnen, für ein Semester oder ein Jahr in eine andere Kultur einzutauchen. Eine andere Universität, eine andere Sprache und eine andere Lebenseinstellungen kennenzulernen und das natürlich auch ordentlich zu feiern. Aber Erasmus ist viel mehr als ein feuchtfröhlicher Kulturaustausch. Das Austauschprogramm ist wohl das wichtigste Instrument der EU gegen Nationalismen und für den inneren Zusammenhalt der Europäischen Union. Erasmus schafft europäische Identität.

Was ist Erasmus?

Benannt nach Desiderius Erasmus von Rotterdam, einem der bedeutendsten europäischen Humanisten des 16. Jahrhunderts, aber auch ein Apronym für EuRopean Community Action Scheme for the Mobility of University Students, wurde das Austauschprogramm auf die Initiative der italienischen Pädagogin Sofia Corradi hin 1987 eigeführt. Damals wurde rund 3000 StudentInnen ermöglicht, ein Auslandssemester in einem der 11 teilnehmenden Länder zu machen. 32 Jahre später haben bereits über 9 Millionen Menschen, bei weitem nicht mehr bloß StudentInnen, Erasmus+ Auslandserfahrung, und zwar in einem der mittlerweile 34 teilnehmenden Ländern. Die an Erasmus+ teilnehmenden Länder sind alle EU-Mitgliedsstaaten sowie Liechtenstein, Norwegen, Island, die Türkei, Nordmazedonien und Serbien. Weiters gibt es Partnerländer auf der ganzen Welt, die unter bestimmten Bedingungen an bestimmten Aktionen teilnehmen können. Das EU Budget für Erasmus+ von 2014 bis 2020 beträgt 14,7 Milliarden Euro.  Die Kommission hat allerdings für das nächste Budget von 2012-2017 eine Erhöhung auf 30 Milliarden Euro vorgeschlagen. So würde 12 Millionen Menschen ermöglicht werden, ins Ausland zu gehen. Erasmus+ fasst diverse Austauschprogramme zusammen (Comenius, Erasmus, Erasmus Mundus, Leonardo da Vinci, Grundtvig, Jugend in Aktion, Jean Monnet, Sport). Man kann somit nicht nur als StudentIn ein Erasmus Stipendium beantragen, sondern auch als Lehrkraft, PraktikantIn, Freiwillige/r oder sogar als Organisation. Die Ziele, welche die Europäische Kommission mit dem Programm anvisiert, sind die Förderung von Zusammenarbeit und Innovation, die Motivation junger Menschen zur Teilhabe am demokratischen Leben in der EU, die Reduzierung von Arbeitslosigkeit und die Förderung von Erwachsenenbildung. Ein weiteres nicht zu vernachlässigendes Ziel, das allerdings nicht auf der Webseite zu finden ist, ist europäische Identitätsstiftung.

Die erste Generation von EuropäerInnen

Nach Umberto Eco hat Erasmus die erste Generation von EuropäerInnen geschaffen. Also wie wird durch Kulturaustausch Identität geschaffen? Soziale Identitäten sind dynamisch, sie können sich durch Interaktion und Kommunikationsprozesse ändern. Die EU ist keine identitätsstiftende Einheit, da sie durch politischen Willen erschaffen wurde und nicht von sich aus entstanden ist. Sie ist also angewiesen auf die identitätstragende Mitwirkung der Mitgliedsstaaten und deren BürgerInnen. Die verschiedenen Mitgliedsstaaten verfügen aber bei weitem nicht alle über gemeinsame historischen Wurzeln und Traditionen. Die ehemaligen UdSSR Staaten haben zum Beispiel eine ganz andere kollektive Geschichte als westlicher gelegene Mitgliedsstaaten. Eine gemeinsame europäische Identität muss somit aktiv konstruiert werden, um den Zusammenhalt in der Union zu fördern. Das passiert zum Beispiel durch die Hervorhebung gemeinsamer Werte wie  die “Achtung der Menschenwürde, Freiheit, Demokratie, Gleichheit, Rechtsstaatlichkeit und die Wahrung der Menschenrechte einschließlich der Rechte der Personen, die Minderheiten angehören”, wie sie im EUV Artikel 2 stehen. Aber es müssen vor allem transnationale Kommunikationsräume geschaffen werden, in denen sich Menschen unterschiedlicher Nationalitäten austauschen können und so eine neue gemeinsame Identität aushandeln können. Und hier kommt Erasmus ins Spiel. Denn wenn junge Menschen ins Ausland gehen und in einer anderen Kultur lernen und leben, dann passiert europäische Integration.

Erasmus Babys

Wenn junge Menschen ins Ausland gehen und in einer anderen Kultur lernen und leben passiert aber vor allem transnationale Interaktion. Durch Erasmus+ Auslandsaufenthalte entstehen dabei nicht nur Freundschaften zwischen Menschen mit verschiedenen Nationalitäten, Traditionen und Lebenseinstellungen, sondern in einem von vier Fällen auch Liebe. Ein Viertel aller Erasmus+ TeilnehmerInnen finden eine/n PartnerIn während ihres Austausches. Die Erasmus Impact Study  (75.000 Befragte aus 34 Ländern) hat weiters ergeben, dass ein Drittel aller Erasmus TeilnehmerInnen eine/n PartnerIn einer anderen Nationalität hat, gegen nur 13% der zu Hause Gebliebenen. Natürlich kann es sein, dass Menschen, die offen für ein Auslandserfahrung sind, prinzipiell offener für Menschen andere Kulturen sind. Trotzdem zeigen die Zahlen einen deutlichen Trend. Dazu kommt die beeindruckende Zahl von 1 Million Babys, für die, einer Studie der Europäischen Kommission zufolge, Erasmus verantwortlich ist. Durch den intensiven Kontakt mit einer oder mehreren anderen europäischen Kulturen, nimmt die eigene Identität etwas von ihnen auf. Man fühlt sich dann nicht mehr nur dem Land zugehörig, in dem man geboren oder aufgewachsen ist, sondern man fühlt sich irgendwie… europäisch. Und so schafft Erasmus europäische Identität. Indem eine ungarische Studentin ein Austauschsemester in Frankreich macht und sich dort in einen spanischen Austauschstudenten verliebt. Beide werden zu Europäern und ihre Kinder erst recht.

Natalie Bock, pour Courrier d’Europe

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